3 FRAGEN: Auf dem Weg zu einem Europäischen Wirtschaftsgesetzbuch

Philippe Dupichot, Professor an der Universität Paris 1 Panthéon-Sorbonne, Generalsekretär der Association Henri Capitant und Reiner Schulze, Professor für Recht an der Universität Münster, Vorsitzender der deutschen Gruppe der Association Henri Capitant.

Warum wurde eine Bestandsaufnahme des acquis communautaire im Wirtschaftsrecht erstellt? Welche Methode wurde dabei befolgt?

Eine synthetische Aufstellung des acquis communautaire im Wirtschaftsrecht ist ein Unternehmen, das kurioserweise bisher kaum in Angriff genommen wurde. Dabei zeigte die zunehmende Hinterfragung des Fortbestands des Euros, wie zerbrechlich die Konstruktion einer Währung ist, die nicht auf gemeinsamen Rechtsgrundlagen beruht. Personen guten Willens aus der Zivilgesellschaft (Paul Bayzelon in erster Linie, Initiator der OHADA) haben die Hypothese aufgestellt, der Euroraum könne nur in einem einheitlichen Rechtsrahmen und gestützt auf einheitliche Handelsspielregeln vorankommen. Daher auch die Idee, im Vorfeld die Errungenschaften der Union im Wirtschaftsrecht in seinem weitesten Sinne zu ermitteln. Die Association Henri Capitant wurde mit der Durchführung dieser Vorarbeit betraut.

Mit diesem Ziel erklärten sich nicht weniger als vierzehn Akteure (Mireille Bacache, Martine Béhar-Touchais, Nicolas Binctin, Nicolas Cayrol, Philippe Dupichot, Charles Gijsbers, Cyril Grimaldi, Michel Grimaldi, Nathalie Martial-Braz, Franck Le Mentec, Pauline Pailler, Sophie Robin-Olivier, Philippe Pétel, Anne-Claire Rouaud) bereit, eine Bilanz des acquis communautaire und seiner Grenzen in nicht weniger als zwölf Bereichen zu erstellen (Marktrecht, Recht des elektronischen Geschäftsverkehrs, Gesellschaftsrecht, Kreditsicherungsrecht, Vollstreckungsrecht, Insolvenzrecht, Bankrecht, Versicherungsrecht, Finanzmarktrecht, Geistiges Eigentumsrecht, Sozialrecht, Steuerrecht).

Was sind die wesentlichen Erkenntnisse aus dieser Bestandsaufnahme?

Diese Bestandsaufnahme führte zu zwei Arten von Erkenntnissen.

Auf formaler Ebene leidet das europäische Wirtschaftsrecht unter einem Mangel an Zugänglichkeit und Verständlichkeit, dessen sich die Union selbst bewusst zu sein scheint. Die Kompetenzverteilung zwischen Union und Mitgliedsstaaten sowie die Grundsätze der Subsidiarität und der Proportionalität stellen sich jeder Vereinheitlichung vehement entgegen.

Auf inhaltlicher Ebene erweist sich der Aufbau eines europäischen Wirtschaftsrechts weiterhin als zutiefst heterogen und unvollendet. Der europäische acquis ist in Bereichen mit geteilten Zuständigkeiten häufig begrenzt, wohingegen er in Bereichen, in denen er hingegen wie im Falle des Wettbewerbsrechts ausschließlich der Kompetenz der Union untersteht, sehr bemerkenswert ausfällt. Einige sehr bedeutende, durch echte europäische Rechtsinstrumente ermöglichte Entwicklungen sind jedoch zu begrüßen: die Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung, die Europäische Gesellschaft, die Europäische Genossenschaft, der europäische Vollstreckungstitel, die europäische Sicherungspfändung von Bankkonten, die Unionsmarke, das Gemeinschaftsgeschmacksmuster, das Recht der Finanzsicherheiten, die Mehrwertsteuer (Bemessungsgrundlage).

Allgemeiner gesagt befasst sich die Union wiederkehrend mit einigen ihr am Herzen liegenden Themen (aufsichtsliche Regulierung, Überwachung der Kreditinstitute, Versicherungsunternehmen oder Anlagedienstleister, Transparenz der Finanzmärkte, Umstrukturierung von Unternehmen, die Bekämpfung des Steuerbetrugs usw.), die zwar von entscheidender Bedeutung sind, aber dem Klischee eines den Sorgen der KMU nicht gerecht werdenden und eher « finanziell » als wirklich « handelsrechtlich » ausgerichteten Rechts Vorschub leisten.

Mit der beachtlichen Ausnahme der Regeln für Wettbewerb, e-Commerce und Geistiges Eigentum ergibt sich aus diesen Arbeiten, dass sich der europäische Aufbau im Bereich des Wirtschaftsrechts nicht ausreichend mit der Alltagspraxis der Händler und Unternehmer der Europäischen Union und allgemein gesagt derjenigen befasst hat, die weder Bankiers, Versicherer noch Verbraucher sind…

Welche Perspektiven zeichnet diese Bestandsaufnahme?

Fast 60 Jahre nach der Unterzeichnung der Römischen Verträge ist es mit dem Aufbau eines europäischen Handelsrechts nicht weit her: Was wurde zum Beispiel aus dem Projekt der Europäischen Privatgesellschaft (SPE)?

Ein erster Schritt könnte in der Konsolidierung des acquis communautaire in einem europäischen Wirtschaftsgesetzbuch bestehen, der die Verordnungen und den letzten Stand der Umsetzung der Richtlinien in nationales Recht in den einzelnen Mitgliedsstaaten festhält: ein solches, einer didaktischen Gliederung folgendes Gesetzbuch könnte die Verständlichkeit des Unionsrechts in hohem Maße verbessern und es den Europäern näherbringen.

Und langfristig könnte man von der Bildung eines Hochrangigen Ausschusses für Wirtschaftsrecht träumen, dem herausragende Juristen angehören und der einheitliche Wirtschaftsrechtsregeln von tadelloser fachlicher Qualität erarbeiten soll.

Eine internationale Konferenz am 23. und 24. März 2017 könnte zielführende Überlegungen zu diesen von manchen als Utopie betrachteten Gedanken anstellen. Doch dazu muss der Präzedenzfall der OHADA (Organisation zur Harmonisierung des Wirtschaftsrechts in Afrika) dazu anregen, Mut zu beweisen, und den europäischen Traum wiederzubeleben.

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